DAS SCHAUSPIEL IST MEIN LEBEN
Wenn ich alles, was mir wichtig erscheint und dazu beigetragen hat, dem Nestroyring 2024 für Adele Neuhauser Gestalt zu verleihen, festhalten würde, könnte ich viele Seiten füllen. Daher beschränke ich mich auf die Beschreibung der im Ring verwendeten Symbole und ihren Bezug zu Adele Neuhausers Gedanken- und Erfahrungshorizont. Um diese Ausnahmeschauspielerin kennenzulernen, empfehle ich die Lektüre ihrer Autobiographie „Ich war mein größter Feind“, die es einem unmöglich macht, sie aus der Hand zu legen, wenn man einmal zu lesen begonnen hat.
© Peter Rigaud
DER NESTROYRING BEDEUTET MIR SEHR VIEL
„Johann Nestroy ist für mich ein großartiger Menschenkenner und in hohem Maße humorvoller und politischer Stückeschreiber. Seine Kosmen sind nachvollziehbar und erfrischend lehrreich. In meiner Arbeit versuche ich, meinen Charakteren mit ähnlichen Vorzeichen Leben einzuhauchen. Der Nestroyring bedeutet mir sehr viel, weil er mein gesamtes künstlerisches Schaffen beinhaltet und wertschätzt, und das macht mich überaus glücklich!“
Die fünf Säulen, die den Ring formen und die „Bühne“ tragen, nehmen auf Nestroys fünf Fähigkeiten: Dichtkunst, Schauspiel, Gesang, Lehrtätigkeit und Satire Bezug.
„Die Dichtkunst“, meint Adele Neuhauser, „ist Basis und Inspirationsquelle für meine Arbeit. Das Schauspiel ist mein Lebensmotor. Der Gesang ist noch zu üben, aber ein Sehnsuchtsort. Lehrtätigkeit und Satire sind für mich die hoffentlich glücklich erlangte Conclusio meiner Tätigkeit.“
ROLLEN- UND DREHBUCH SIND DER GRUNDSTEIN
„Eine gute Rolle in einem schlechten Buch wird nie die Brillanz erlangen, die vielleicht in ihr schlummert. Eine interessante Rolle in einem guten Buch hat hingegen große Chance brillant zu werden.“
So besteht der „Bühnenboden“ im Ring nicht aus den „Brettern, die die Welt bedeuten“, sondern aus dem im Theater verwendeten Rollen- bzw. im Film benützten Drehbuch, aus dem heraus sich die Geschichte des Ringes entwickelt.
© Wolfgang Stadler
EIN VERGÄNGLICHER AUGENBLICK
Zu Film und Theater meint Adele Neuhauser: „Ein Aspekt, der das Medium Film vom Theater unterscheidet, ist, dass beim Film etwas gewissermaßen bis in alle Ewigkeit festgehalten wird. Man kann sich den Film nach Jahren oder Jahrzehnten immer und immer wieder anschauen. Beim Theater ist es nur ein Abend, ein vergänglicher Augenblick.“
DAS SCHAUSPIEL IST MEIN LEBEN
Diese so grundverschiedenen Medien teilen den Ring und erschaffen zwei Bühnen: die des Theaters und die des Films. Die Teilung erfolgt durch eine „Spiegelwand“, die auf einer Seite Leinwand und Bildschirm, auf der anderen Bühnenhintergrund und Bühnenbild darstellt.
„Das Schauspiel ist mein Leben“, schreibt Adele Neuhauser. Damit vereint sie die zwei Aspekte des Rings, weil ihr Herz für beides schlägt und ihre Kunst beides verbindet. Eine „Filmszene“ ist im Ring zu erkennen. Vielleicht stammt sie aus einem Tatort? Eine liegende Figur, verletzt oder tot? Sehr berührend schildert sie in ihrer Biografie den Verlust ihrer Eltern sowie ihres Bruders und zieht Resümee: „Der Tod relativiert schon sehr viel. Man sieht das Leben mit anderen Augen. Und die Trauer wäscht den Blick für das Wesentliche: Die Freude, am Leben zu sein und die verbliebene Zeit gut zu nutzen.“
„Bibi Fellner“ beugt sich in ihrer typischen Haltung über die liegende Figur und der „Bildschirm“ spiegelt diese Szene so, dass der Eindruck entsteht, es wären mehrere Figuren im Raum. Ein Detail, das auf eine für Adele Neuhauser wichtige Erfahrung hinweist, ein Phänomen, das so intensiv erlebt wird, dass es sich, wie sie sagt, „nur dafür auszahlt, die ganze Mühe auf sich zu nehmen.“ Und sie versucht, dieses Gefühl in Worte zu fassen: „Zeit und Raum lösen sich auf und es ist ein wahrlich berauschendes Gefühl. Pure Energie. Vielleicht wie eine leuchtende Aura.“
EIN KOLLEKTIVES GLÜCKSGEFÜHL
„Das aber gelingt nur“, so die Preisträgerin, „wenn das gesamte Kollektiv, also alle Schauspieler, alle an dem Stück beteiligten Personen, das Publikum eingeschlossen, ein aus Begeisterung gewobenes ‚Energiefeld‘ erzeugt, das eine für alle überwältigende Erfahrung, sozusagen ein kollektives Glücksgefühl auslöst.
Wie oft haben wir die Chance, einen kollektiven Akt zu erleben, der was bedeutet? Dafür aber sind wir Schauspieler da. Als ich 2010 das erste Drehbuch für den Tatort zu lesen bekam und auf diesem Weg die Bibi Fellner ‚kennenlernte‘, war es Liebe auf den ersten Blick. Ihre Brüchigkeit, Verletzlichkeit, ihre Unverlässlichkeit.
Volkstheater Wien am 3. September 2015 – Fotoprobe zu „Fasching“ / Inszenierung nach einem Nachkriegsroman von Gerhard Fritsch / Bühnenfassung von Anna Badora und Roland Koberg / Adele Neuhauser „Vittoria Pisani“ & Nils Rovira-Muñoz „Felix Golub“ / © Foto: APA / Georg Hochmuth
Zum Glück war ich in meinem Leben nie ganz unten, aber ich bin lang genug auf einem schmalen Pfad gewandert, um zu wissen, woher die destruktiven Gefühle derer kommen, die sich ausgeschlossen fühlen. Deshalb ist es mir zunehmend wichtiger geworden, Rollen zu verkörpern, die jenseits der Fiktion von Sauberkeit, Perfektion und einem bruchlos gelungenen Leben angesiedelt sind.
Ich möchte als Schauspielerin in erster Linie unterhalten und das Publikum erfreuen. Ich will gute und wichtige und natürlich auch lustige und schöne Geschichten erzählen, aber ich möchte den Menschen zugleich wahrhaftigere Charaktere zeigen, als diejenigen, die ihnen von Boulevardmedien als Ideale vorgeführt werden. Das verstehe ich als Teil der Verantwortung, die mit meinem Beruf und meinem Erfolg einhergeht.“
Über der im Ring dargestellten Szene schwebt ein Gegenstand, der in Film und Fernsehen nie ins Blickfeld gelangt und auf der Theaterbühne meist gut verborgen ist – das Mikrofon – als Symbol für das wichtigste Instrument des Schauspielers, die Stimme.
ZUR PERSON
ADELE NEUHAUSER
Die am 17. Jänner 1959 in Athen geborene Adele Neuhauser ist die Tochter eines österreichisch-griechischen Architekten und einer Wienerin. Ihre Großeltern, die zuletzt im Waldviertel lebten, waren akademische Maler, ein Vorbild, dem ihr Halbbruder Peter Marquant folgte. Vom Großvater stammen mehrere Sgraffiti, eines zum Beispiel auf dem Wiener Künstlerhaus. Da es aber nach seiner Auffassung nur einen Maler in der Familie geben könne, verlagerte die Großmutter ihre Schaffenskraft auf die Anfertigung von Gobelins und Kasperlfiguren und arbeitete für die Wiener Werkstätte.
SEIT IHREM SECHSTEN LEBENSJAHR TRÄUMT SIE VOM THEATER
Im Alter von vier Jahren siedelte Adele Neuhauser mit ihrer Familie von Griechenland nach Wien, wo sie aufwuchs. Ihre Mutter, die selbst Schauspielerin werden wollte, verließ die Familie und nahm dabei ihren Halbbruder mit. Adele Neuhauser wuchs bei ihrem Vater Georg auf und wollte seit ihrem sechsten Lebensjahr Schauspielerin werden.
DAS THEATER IST IHRE WELT
Adele Neuhauser absolvierte ihre Schauspielausbildung von 1976 bis 1978 an der Schauspielschule Krauss in Wien. Mit Anfang zwanzig zog sie nach Deutschland, wo ihre Karriere an verschiedenen deutschen und österreichischen Theatern begann. Dabei stand sie unter anderem in Münster, Essen, Mainz und zwischendurch auch in Wien auf der Theaterbühne.
Überregionales Aufsehen erregte Adele Neuhauser in der Faust-Inszenierung am Stadttheater Regensburg, in der sie als Frau den „Mephisto“ verkörperte. Konrad Sabrautzky besetzte sie 1990 an der Seite von Maja Maranow als „Maggy“ in der Travestiekomödie „Der neue Mann“ in ihrem ersten Fernsehfilm.
JULIE ZIRBNER & BIBI FELLNER
Ihre Bekanntheit bei einem breiteren Publikum erlangte sie im Jahr 2004 durch ihre Rolle als Bäuerin „Julie Zirbner“ in der Kult-Fernsehserie „Vier Frauen und ein Todesfall“. Seit 2010 ermittelt sie zudem als Tatort-Kommissarin „Bibi Fellner“ an der Seite von Harald Krassnitzer als ihr Kollege „Moritz Eisner“ im Wiener Tatort. Zuletzt war sie im ORF in dem Film „Steiererrausch“ (Regie Wolfgang Murnberger) und in der Miniserie „Unter Freunden stirbt man nicht“ auf TV Now (Regie Felix Stienz) zu sehen. Im April 2017 erschien unter dem Titel „Ich war mein größter Feind“ Adele Neuhausers Autobiografie im Brandstätter Verlag.
Nach der Trennung von ihrem mittlerweile verstorbenen Mann Zoltan Paul lebt Adele Neuhauser heute in Wien. Ihr 1987 geborener Sohn Julian Pajzs ist Jazzmusiker und Filmkomponist. Seit 2014 tritt sie mit ihm in der Literatur- und Musikproduktion „Die letzten ihrer Art“ sowie „Mythos“ auf.
Im Zuge ihrer beachtlichen Karriere spielte Adele Neuhauser in zahlreichen Kinofilmen wie unter anderem in „Irren ist männlich“ (1996), „Helden in Tirol“ (1998), „Gone – Eine tödliche Leidenschaft“ (2004), „Wo ist Fred?“ (2006), „Räuber Kneißl“ unter der Regie von Marcus H. Rosenmüller (2008), „Die Perlmutterfarbe“ (2009), „3faltig“ (2010), „Bad Fucking“ (2013) und „Love Machine“ (2019).
Auf dem Münchner Filmfest 2021 feierte sie einen großen Erfolg als Hauptrolle in der ARD Komödie „Faltenfrei“, im vergangenen Jahr erhielt Adele Neuhauser erneut unter der Regie von Dirk Kummer die Hauptrolle in dem Film „Ungeschminkt“. Daneben übernahm sie Gastrollen in zahlreichen Fernsehserien, darunter Krimireihen wie „Tatort“, „Polizeiruf 110“ und „Sinan Toprak ist der Unbestechliche“.
Von links nach rechts: © Ringfoto - Wolfgang Stadler & Preisträgerin in der Kategorie „Beliebteste Schauspielerin Serie“ / Adele Neuhauser – ROMY Gala 2016 in der Hofburg in Wien © VISTAPRESS Lana Yassi & Adele Neuhauser und Harald Krassnitzer, Verleihung des Grimme-Preis 2014 / Theater Marl © Eventpress Monika Sandel & Adele Neuhauser beim Lola Nominiertenabend des Deutschen Filmpreises 2024 in der Bar Brass am 13.04.2024 in Berlin © Eventpress Kochan
ZAHLREICHE EHRUNGEN BEGLEITEN ADELE NEUHAUSERS WEG
Zwischen 2012 und 2017 erhielt sie fünfmal die „Romy“ in der Kategorie beliebteste Schauspielerin/Serie – den österreichischen Film- und Fernsehpreis, der in Erinnerung an die Schauspielerin Romy Schneider vergeben wird. 2014 wurde ihr gemeinsam mit Harald Krassnitzer der „Grimme-Preis“ verliehen, der renommierteste Medienpreis für Fernsehsendungen in Deutschland.
2024 erhielt Adele Neuhauser den Ehrenpreis des Deutschen Fernsehkrimifestivals für ihre „herausragende, schauspielerische Leistung als Bibi Fellner im Wiener Tatort“. Am 3. Mai 2024 wurde Adele Neuhauser mit dem Deutschen Filmpreis für die beste weibliche Nebenrolle im Kinofilm „15 Jahre“ geehrt. Am 30. Mai 2024 folgt ihre Auszeichnung mit dem Johann-Nestroy-Ring der Stadt Bad Ischl.
Adele Neuhauser ist Mitglied der Akademie des Österreichischen Films und engagiert sich auch für das Kinderhilfswerk Plan International Deutschland, in dessen Kuratorium sie Mitglied ist. Außerdem war sie 2016 gemeinsam mit weiteren Tatort-Schauspielern Teil einer Jubiläumskampagne der Opferhilfsorganisation Weißer Ring.
EINDRÜCKE
Galerie
Von links nach rechts: Film-Still aus dem Tatort „Ausgelöscht“ © Ingo Pertramer & Szenenfoto aus dem Stadttheater Landsberg: © Christian Rudnik / Adele Neuhauser und das Trio Edi Nulz – April 2023 / Musikalische Lesung nach Stephen Fry „Mythos. Was uns die Götter heute sagen.“ & „Julie Zirbner in Action“ – „Vier Frauen und ein Todesfall“ © ORF – Franz Neumayer & Julian Pajzs mit Mutter Adele Neuhauser bei der Aufzeichnung der NDR Talk Show im NDR Fernsehstudio Lokstedt. Hamburg, 10.02.2023 / Foto: © H. Hartmann Future Image